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Gensequenzierung

Unsere Zukunft liegt im Molekül

Professor Claus an einem Gerät für Gensequenzierung
Prof. Dr. med. Rainer Claus, wissenschaftlicher Direktor des Comprehensive Cancer Centers Augsburg
Gene analysieren und modifizieren – klingt gefährlich? Kann aber auch Leben ändern: Prof. Dr. Rainer Claus möchte mithilfe von Gensequenzierung seinen Patient:innen eine lebenswerte Zukunft schenken.

„Sie haben Krebs.“ Für viele wohl die furchtbarste Diagnose, die ein Arzt verkünden kann. Eine Hiobsbotschaft, ein im Raum stehendes Todesurteil. Dabei gibt es „den Krebs“ so eigentlich gar nicht. Denn die zweithäufigste Todesursache der Deutschen im Jahr 2020 ist ein großer Sammelbegriff. „Krebs bezeichnet in der Medizin die unkontrollierte Vermehrung und das wuchernde Wachstum von Zellen“, heißt es bei Wikipedia verallgemeinernd.

„Eigentlich sprechen wir aber von völlig verschiedenen Tumoren“, erklärt Prof. Dr. med. Rainer Claus, wissenschaftlicher Direktor des Comprehensive Cancer Centers Augsburg (CCCA). „Tumore können in jedem Gewebe entstehen. Es gibt viele verschiedene Arten und selbst ein Lungenkrebs ist nicht gleich Lungenkrebs“, fügt der Mediziner hinzu. Und hier liege auch die Krux bei der Behandlung: Da Krebsgeschwulste überall entstehen können, ist es oft schwer, sie zu entfernen, nicht einmal eine Biopsie ist in manchen Fällen möglich. Doch da ein Tumor eben nicht dem anderen gleicht, ist die Untersuchung von genau diesem Gewebe so wichtig.

Auf die Gene kommt es an

„Tumore verhalten sich ganz unterschiedlich, wenn eine Behandlung den an der Schulter schrumpfen lässt, kann der im Bauch vielleicht ungestört weiterwachsen“, erklärt Professor Claus. Und genau dort setzt seine Forschung an: Damit die einzelnen Tumore gezielt und möglichst effektiv behandelt werden können, müssen sie genau bestimmt werden. Mittels Gensequenzierung.

Dank moderner Technologie kann wucherndes Gewebe auf Gen-Ebene untersucht werden. „Die Sequenzierung dröselt die Eigenschaften der Tumorzelle auf. So können wir schon in vielen Fällen genau sagen, welche Behandlung für diese individuelle Veränderung am besten ist“, erläutert der Professor. So kann die richtige Therapie schnell anschlagen und dem Patienten bleiben wenig wirksame und damit unnötige Behandlungsversuche erspart.

„Da die Medizin in den letzten Jahren solche Fortschritte gemacht hat, werden unsere Patienten immer älter. Dazu kommen verschiedene Vorerkrankungen, die zusätzlich schwächen. Eine schnelle, effektive und maßgeschneiderte Behandlung ist deswegen enorm wichtig“, schildert Claus. Bei den Patienten, die zu ihm kommen, gehe es meist nicht mehr um Heilung. „Mit unserem Ansatz möchten wir den Erkrankten ein möglichst beschwerdefreies Weiterleben ermöglichen“, erklärt er.

Individualisierte Medikamente von der KI

Doch was, wenn der Tumor nicht erreicht und somit auch nicht sequenziert werden kann? „Hier kommt unsere Vision zum Tragen: Man weiß, dass ein Tumor seine Gen-Bausteine auch in den Blutkreislauf abgibt. Wenn wir in der Lage sind, diese zu isolieren, reicht eine Blutprobe, um den Tumor und seine Eigenschaften genau zu bestimmen.“ Die Patienten könnten dann ohne belastenden Eingriff untersucht werden. Und auch die Nachsorge könnte so effizienter werden: „Die sequenzierten Tumor-Gene werden in einer Datenbank gesammelt. Langfristig arbeiten wir an einer Künstlichen Intelligenz, die eine aktuelle Probe mit diesen Informationen vergleicht. Anschließend wird eine Prognose getroffen, welche Behandlung bei dieser Art von Tumor bisher erfolgreich war. Und anhand dieser Information wird dann die individuell passende Therapie automatisch zusammengestellt“, schildert der Professor seine Vision.

Doch die Forschung für dieses ambitionierte Vorhaben ist aufwendig und teuer. Bis zu zwei Milliarden Euro koste schon allein die Entwicklung eines neuen, modernen Medikaments – von der Forschung bis zur Marktreife.. „Deswegen sollten Pharmakonzerne auch nicht so negativ gesehen werden, wie sie in letzter Zeit oft dargestellt werden: Sie sind es, die große Forschungsvorhaben und vor allem notwendige klinische Studien finanzieren“, klärt Prof. Dr. Claus auf.

App soll Zeit sparen

„Vor allem ist die medizinische Forschung aber eines: zeitintensiv“, betont der Mediziner. Damit bezieht er sich zum einen auf das langwierige Sammeln von Daten: Damit ein Medikament in Deutschland zugelassen werden kann, vergehen oft viele Jahre. Neben der Forschung sind es auch Studien, bei denen neue Mittel ausgiebig getestet werden: „Hier scheitert es oft schon am Mangel von potenziellen Teilnehmern: Jede Studie braucht betroffene Menschen, außerdem sind unterschiedlichste soziale Faktoren, aber auch biologische, wie das Geschlecht, zu beachten.“

Damit dieses Problem bald der Vergangenheit angehört, hat Prof. Dr. Claus zusammen mit Kollegen und Freunden sogar eine eigene App entwickelt: Über TRICLI können sich Ärzte und andere interessierte Personen zentral passende Studien suchen. Eine Beta-Version soll bereits diesen Winter erscheinen.

Zwischen Onkologie-Station und Pathologie

Doch auch für den Forscher selbst ist die Arbeit zeitintensiv: Schließlich ist Prof. Dr. Claus Facharzt für Innere Medizin, Onkologie und Hämatologie. Er betreut also seine eigene Ambulanz im Universitätsklinikum Augsburg. „Mein Chef räumt mir immer wieder sogenannte ‚Protected Time‘ ein: Dann bin ich offiziell während meiner Arbeitszeit am Forschen. Oft genug ist aber zu viel los und gut die Hälfte meiner Forschungszeit geht für die aufwendige Bürokratie drauf. Und ja, es ist so eine Art Hobby, aber nach einer Zehn-Stunden-Schicht wird auch ein Hobby zur Anstrengung“, betont er.

Noch dazu, könnte man meinen, wenn der Hobbyraum in der Pathologie ist. „Aber nicht doch“, lacht Claus. „Wieso glauben immer alle, dass hier nur Leichen obduziert werden?“ Vermutlich liegt diese Assoziation am sonntäglichen „Tatort“, denn eigentlich bedeutet der aus dem Altgriechischen stammende Begriff „Lehre von den Leiden“. „Deswegen ist die Nähe und Verbindung zur Pathologie auch so wichtig: Dort werden Proben gelagert und untersucht. Dieser interdisziplinäre Ansatz, bei uns zwischen Onkologie und Pathologie, steht in meinen Augen auch für die Medizin der Zukunft.“

Interdisziplinär statt isoliert

Denn in den letzten Jahrhunderten entwickelte sich die Medizin in Teilbereichen: Onkologie, Hämatologie, Gynäkologie, sie alle forschen und behandeln in ihrem Schwerpunkt. „Heute geht es aber langsam in eine andere Richtung: interdisziplinäre Medizin also“, betont der Mediziner. „Wir betrachten nicht mehr einzelne Krankheiten oder bestimmte Körperteile. Stattdessen sieht man sich den kompletten Menschen an und berücksichtigt alle Zusammenhänge.“

Und da kommt dann auch wieder die Gensequenzierung ins Spiel: „Diese Methode nutzen wir gerade gezielt für Tumore. Grundsätzlich ist sie aber überall einsatzbar: So können zum Beispiel auch Veranlagungen für gewisse Krankheiten, wie etwa Parkinson, frühzeitig erkannt werden. Oder die „Gen-Schere“ wie es in der Presse betitelt wurde: Anhand der Sequenzierung kann eine einzelne Sequenz „herausgeschnitten“ werden“, beschreibt der Forscher „Bisher wissen wir aber noch nicht genug darüber, um diese modifizierenden Techniken Flächendeckend einzusetzen: Wir könnten durch kleine Ungenauigkeiten oder unkontrollierte Effekte möglicherweise auch eine Krankheit verursachen“, warnt er dennoch.

Trotz des noch fehlenden Wissens hat sich in den letzten zehn Jahren in der Medizin vieles getan: „In der Onkologie waren die letzten fünf bis zehn Jahre Quantensprünge: Unsere heutigen Patienten wären vor einigen Jahren als unbehandelbar nach Hause geschickt worden. Heute können wir viele Tumorarten so in Zaum halten, dass die Menschen noch eine gute und individuell wertvolle Zeit genießen können.“

 

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