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Raumfahrt

Raumfahrt als Innovationstreiber

Bild: Achoffotografie
Die Meteorologin und Klimaforscherin Dr. Insa Thiele-Eich hat im Rahmen der Initiative „Die Astronautin“ ihre Ausbildung abgeschlossen, um zur ISS zu fliegen. Während sie auf grünes Licht für die Durchführung der Mission wartet, inspiriert die Autorin, Speakerin, TV-Persönlichkeit und Fünffach-Mutter Kinder und junge Menschen für technische und wissenschaftliche Berufe. Denn die Begeisterung für Wissenschaft und Raumfahrt liegt ihr im Blut.

Seit sie acht Jahre alt war, gab es für Dr. Insa Thiele-Eich nur einen Gedanken: Ab ins All! Kinderbücher über Astronaut:innen und Faschingskostüme fand sie ganz nett. Der eigentliche Antrieb saß ­direkt neben ihr auf der Couch: Ihr Vater, Gerhard Thiele, war deutscher ESA-Astronaut und flog im Jahr 2000 als zehnter deutscher Mann im Spaceshuttle „Endeavour“ ins All. Insa saugte von ihm die Faszination für die Luft- und Raumfahrt regelrecht auf. Seit dem Abschluss ihrer Astronautinnenausbildung macht sie sich dafür stark, dass auch die ­erste deutsche Frau den Weltraum erreicht. Bisher waren es zwölf Männer. Diesen ­Frühling startet die Polarforscherin Rabea Rogge ins All. Sie soll an Bord der Falcon-9-Rakete vom Konzern ­SpaceX Teil einer kommerziellen Weltraummission sein. ­Diese wird vom maltesischen Kryptomogul und gebürtigen Chinesen Chun Wang finanziert.

Die Initiative „Die Astronautin“ war seit jeher ein auf Fördermittel und Spenden basiertes Projekt. Und wie so oft bei Großprojekten: In der Öffentlichkeit und Politik wird die Werbetrommel gerne gerührt und die Sichtbarkeit gesucht. Aber die Gelder dann zur Verfügung stellen, ist eine andere Sache.

Gespannt und mit Vorfreude blickt die Meteorologin und Klimaforscherin nun auf die nächsten Schritte ihrer Astronautinnenkollegin. Man steht in Kontakt und fiebert auf den Start hin. Der Astronautin ging es ohnehin nie um den Titel „Erste deutsche Frau im All“, sondern sie wurde von der Liebe und Leidenschaft zum Beruf und zur Raumfahrt angetrieben. „Dann werde ich halt die erste fünffache Mutter im All“, sagt sie mit ­einem herzlichen Lachen.

Insa, seit 2020 bereitet ihr euch auf die Allmission vor. Was tut sich aktuell bei den Vorbereitungen?

INSA THIELE-EICH: Über die letzten Jahre haben wir mit „Die Astronautin“ viel umgesetzt und die Spenden und Fördermittel eingesetzt, um unsere Trainings und Ausbildungen zu finanzieren. Das Basistraining haben wir erfolgreich abgeschlossen. An der Finanzierung für den Flug ins All arbeiten wir weiterhin. Gleichzeitig haben wir ­Anfang 2024 begonnen, das Vorhaben weiterzuentwickeln und uns stärker mit der Frage zu ­beschäftigen: Was genau bringt uns die astronautische kommerzielle Raumfahrt? Bei Mission Homebound möchten wir das für die europäische Wirtschaft beantworten und gleichzeitig klar den Fokus auf den Mehrwert der Raumfahrt legen. Sei es in der Forschung oder über mögliche Entwicklungsfelder für Innovationen in der Wirtschaft, das Weltall bietet vielfältige Chancen – auch bei Nachhaltigkeit. Und selbstverständlich geht es bei astronautischer Raumfahrt immer auch um die Gewinnung von Nachwuchskräften für MINT-Berufe. Astronautinnen zu sehen, inspiriert offentlich viele Mädchen und Jungen, selbst nach den Sternen zu greifen!

Die Raumfahrtbranche galt lange als männerdominiert. Wie steht es heute um die Diversität?

In Europa steigt der Frauenanteil in der astronautischen Raumfahrt, aber es gibt weiterhin Hürden. Deutschland wählte und trainierte in den 80er Jahren Renate Brümmer und Heike Walpot, danach meine Kollegin Suzanna Randall und mich. Zwei weitere deutsche Frauen schafften 2021 die Auswahl in die ESA-Reserve: Nicola Winter und Amelie Schoenenwald. Sechs Frauen wurden ausgewählt, vier fertig trainiert – aber keine ins All geschickt. Bei den zwölf Männern sieht das anders aus: Alle Astronauten wie Alexander Gerst oder Matthias Maurer sind einmal, teilweise bereits mehrfach, geflogen und haben sogar Mondmissionen in Aussicht. Sozusagen: Mann im Mond, Frau auf dem – noch nicht ganz gleichberechtigten – Boden der Tatsachen. Der nächste Schritt muss also sein, dass auch Frauen aus Deutschland tatsächlich ins All fliegen und aktiv an Missionen teilnehmen – und zwar nicht nur eine, sondern mehrere, ganz im Sinne von „gelebte Realität, auch im All“. Mit dem geplanten Start von Rabea Rogge geht es, zumindest was die Sichtbarkeit angeht, in die richtige Richtung, auch wenn das kein ­Verdienst der deutschen Raumfahrtbranche ist.

Sprechen wir über kommerzielle Raumfahrt. ­Welchen Mehrwert kann sie für die Erde bringen?

Klar ist: Wir haben keine Erde 2.0, auf die wir uns verlassen können! Diesen Gedanken möchten wir bei Mission Homebound in den Vordergrund stellen, denn das Ziel ist bei astronautischer Raumfahrt gerade nicht, einfach nur schneller, höher, weiter von diesem Planeten wegzukommen, ­sondern: nach Hause! Wir lenken bewusst den Blick zurück auf die Erde. In meiner Funktion als Klimawissenschaftlerin möchte ich ergründen, wie Raumfahrt nachhaltig gestaltet werden kann und wie wir es schaffen, diese Konzepte dann auf unsere Gesellschaft und unseren Alltag zu übertragen. In der Raumfahrt sind Suffizienz und Effizienz – also wie Energie, Ressourcen und Material bestmöglich einspart oder genutzt werden – fundamental. Deswegen haben wir auch beispielsweise die erste pflanzenbasierte Mission im Fokus. Das ist aus Forschungssicht besonders wichtig für Langzeitmissionen zum Mars, auf denen man sich ohnehin pflanzenbasiert ernährt, gleichzeitig aber auch ein deutliches Signal für alle: Eine pflanzenbasierte Ernährung braucht es insbesondere auch für ein nachhaltiges Raumschiff „Erde“.

Welche technologischen Innovationen aus der Raumfahrt beeinflussen bereits unser Leben?

Viele Technologien, die für den Weltraum entwickelt wurden, kommen bereits der Erde zugute. Beispiel Photovoltaik: ursprünglich verstärkt in der Raumfahrt eingesetzt, da fossile Brennstoffe im All knapp sind und deshalb eine bessere Alternative hermusste. Diese erneuerbare Energie ist heute ein Ansatz, der aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken ist. Mindestens genauso wichtig wie neue Technologien erachte ich jedoch den Gedanken: Ressourcen sind im All knapp. Mit ­unserem winzigen Planeten im All müssen wir ­Ressourcen effizienter nutzen und die Kreislaufwirtschaft konsequenter umsetzen.

Kannst du das konkreter ­erläutern?

Es gibt Maßnahmen zum Klimaschutz, die seit Jahren bekannt sind und gefordert, aber nicht umgesetzt werden – obwohl sie neben der Reduzierung der CO2-Emissionen auch Kosten einsparen und zur Verkehrssicherheit beitragen würden. Ich ­denke an das Tempolimit auf Autobahnen oder einheitliche europäische Lufträume wie „Single European Sky“ (SES), die die EU seit Jahrzehnten verwirklichen möchte. Die Harmonisierung des Luftraums wäre eine deutliche Maßnahme, um CO2-Emissionen auf Flügen einzusparen. Das ­eigentliche Problem ist – nicht nur in diesen Beispielen – also nicht das Wissen, sondern die Umsetzung. Trotz besseren Wissens so viel Ressource zu verschwenden, könnte sich eine Raumstation nicht leisten – wieso machen wir es auf der Erde?

An welchen Projekten zur Klimaforschung arbeitest du als Meteorologin an der Universität Bonn?

Ich koordiniere eine Initiative, die die zehn meteorologischen Universitätsstandorte in Deutschland vernetzt, das „University Partnership for Atmospheric Sciences“. Zudem leite ich ein Forschungsprojekt zu den Interaktionen zwischen Erdsystem und menschlicher Gesundheit, zum Beispiel bei den Themen Hitze oder Feinstaubbelastung. In der Erdsystemmodellierung werden Szenarien berechnet, um mögliche Ableitungen für die Klimafolgenforschung und die Klimaanpassung zu erhalten. Wir wollen verstehen, wie diese Modellierungen bei Gesundheitsfragen aktuell eingesetzt werden und welche Verbesserungen es braucht.

Wie werden diese Erkenntnisse praktisch umgesetzt?

Im besten Fall lassen sich zukünftig aus den Modelldaten direkt auch die notwendigen Informationen für die Gesundheitsbranche ziehen. Aber auch hier gilt: Es ist schon sehr viel Wissen vorhanden, das man längst umsetzen kann, z. B. bei der Städteplanung. Studien zeigen, dass die Pflanzung von Bäumen oder die Farbe des gewählten Asphalts die Hitzebelastung in Städten deutlich reduzieren kann. Aber auch Feinstaub ist eine unterschätzte Gesundheitsgefahr. Politik und Verwaltung müssen diese wissenschaftlichen Erkenntnisse stärker berücksichtigen, etwa durch die Einplanung von mehr Trinkwasserbrunnen und gleichzeitig intelligent platzierten Sanitäranlagen. Aber auch, dass Fahrradwege nicht unmittelbar an stark befahrenen Verkehrsnetzen verlaufen. Solche Anpassungen haben letztlich direkte Auswirkungen auf unsere Lebensqualität.

Sind die Hürden für solche Maßnahmen eher politischer oder gesellschaftlicher Natur?

Politische Entscheidungen spielen natürlich eine große Rolle. Oft gibt es eine gesellschaftliche Mehrheit für bestimmte Maßnahmen, doch in der Politik – sei es auf kommunaler oder bundesweiter Ebene – geraten sie in langwierige Abstimmungsprozesse. Das Problem ist also nicht immer unbedingt der fehlende Wille der Bevölkerung, sondern vielmehr, dass Themen oft nicht konsequent auf die politische Agenda gesetzt und dann energisch vorangetrieben werden. Die Arbeit an Verhandlungstischen ist oft zäh und mühsam, und da braucht es eine gehörige Portion Hartnäckigkeit.

Was ist deine Botschaft an die nächste Generation von Wissenschaftler:innen und Astronaut:innen?

Egal, wie schwierig bei euren Vorhaben die Umsetzung aussehen mag oder wie kompliziert der Lösungsansatz sein könnte – es lohnt sich immer ein Gedankenexperiment: „Und was, wenn es doch klappt?“ In der Luft- und Raumfahrt haben wir das große Privileg, auf faszinierende Abenteuer trotz hoher Kosten gehen zu dürfen, sei es auf dem Weg zum Mond oder auch bei Großprojekten wie dem James-Webb-Teleskop. In diesem Sinne: Der wissenschaftliche Fortschritt ist es wert, die eigenen Grenzen auch einmal etwas weiter zu setzen: „to infinity and beyond!“

 

»VIELE TECHNOLOGIEN, DIE FÜR DEN WELTRAUM ENTWICKELT WURDEN, KOMMEN BEREITS DER ERDE ZUGUTE.« 

– Dr. Insa Thiele-Eich

 

Initiative „Die Astronautin“

Claudia Kessler, eine Raumfahrtingenieurin aus Bremen, rief 2016 die privat finanzierte Initiative „Die Astronautin“ ins Leben. Ein Jahr später wurden – in Kooperation mit dem deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Airbus – unter rund 400 Bewerberinnen Dr. Insa Thiele-Eich und Bundeswehr-pilotin Nicola Winter (für sie rückte später Dr. Suzanna Randall ins Programm nach) ausgewählt, um das Trainingsprogramm für den Flug ins All zu absolvieren. Ziel ist ein Kurzzeitaufenthalt von etwa zehn Tagen auf der ISS. Das Thema des Einsatzes im All soll unter anderem „wissenschaftliche Experimente zum weiblichen Körper in der Schwerelosigkeit“ sein, da derzeit dazu nur sehr spärliche Forschungsdaten vorliegen. Der rund 50 Millionen Euro teure Flug soll durch Public Private Partnership finanziert werden.

 

Vita

Insa Thiele-Eich wurde am 21. April 1983 in Heidelberg geboren. Nach ihrem Abitur in Brühl studierte sie Meteorologie an der Universität Bonn. Die promovierte Klimawissenschaftlerin erforscht heute die Auswirkungen des Klimawandels auf Menschen und die Umwelt.

Von August 2017 bis November 2020 absolvierte die 42-Jährige eine theoretische und praktische Raumfahrtgrundausbildung. Unter anderem Parabelflüge in Schwerelosigkeit, Fliehkraftsimulationen in einer Zentrifuge des Juri-Gagarin-Kosmonauten-Trainingszentrums in Moskau, tagelange Höhlenforschung, Forschungstrainings teilweise unter Wasser und der Erwerb eines Flugscheins waren Teil ihrer Astronautinnenausbildung.

Insa Thiele-Eich hat fünf Kinder (14, 11, 6, 3 und 1) und ist selbst das älteste von vier Geschwistern. Ihr Vater, Gerhard Thiele, war deutscher ESA-Astronaut und flog 2000 als zehnter deutscher Mann im Spaceshuttle „Endeavour“ ins All.

 

»POLITIK UND VERWALTUNG MÜSSEN WISSENSCHAFTLICHE ERKENNTNISSE STÄRKER BERÜCKSICHTIGEN.«

– Dr. Insa Thiele-Eich

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