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thinktank

New Work braucht New School

Foto-Credit: Karina Hagemann
Janina Lermer betont die Bedeutung von New Work, die über flexibles Arbeiten hinausgeht. Sie plädiert für einen ganzheitlichen Ansatz, der auch Entrepreneurship und Solopreneurship einschließt. Zudem fordert sie eine New School, die die notwendigen Future Work Skills wie Empathie, Ambiguitätstoleranz und Durchsetzungsvermögen vermittelt.

New Work ist ein Kontainer-Begriff, der frei interpretierbar ist und von vielen Deutschen immernoch lediglich mit „flexiblem Arbeiten“ und „Home-Office“ gleichgesetzt wird. Dass der Begriff Ende der 90er Jahre vom österreichisch-amerikantischen Sozialphilosoph Prof. Dr. Frithjof Bergmann eingeführt wurde, wissen viele nicht mehr. Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Damit beschäftigt sich auch Janina Lermer, freiberufliche Dozentin an zwei Hochschulen und Agile Coach bei Deloitte. Sie setzt sich intensiv damit auseinandersetzen, wie die Arbeitsweisen und -bedingungen von morgen aussehen könnten, damit Erwerbstätige gesund arbeiten können und Unternehmen und Unternehmungen echten Wert für die Welt liefern.

 

Wie arbeiten wir in Zukunft? 

Das lässt sich nicht pauschal beantworten, da es extrem davon abhängt, welcher Art von Tätigkeit ich nachgehe. Steht beispielsweise mehr die Erfüllung des Ziels und das Ergebnis im Vordergrund und weniger der Weg und die Arbeitszeit bis dahin, so kann ich meine Arbeit flexibel und ortsunabhängig erledigen. Bin ich jedoch zeitlich und örtlich gebunden, beispielsweise bei Tätigkeiten mit und am Menschen, wie in der Pflege, so ist dies nicht möglich. Ich habe zwar keine Glaskugel, jedoch deutet alles darauf hin, dass gerade jene Berufe, die remote ausgeführt werden können, Remote-First oder Remote in Kombination mit Office-Tagen bleiben werden. Einige Unternehmen verzichten aufgrund dieser Entwicklung bereits komplett auf Bürogebäude, manche gewähren ihren Mitarbeitenden ein Budget für Coworking Spaces, viele reduzieren die Anzahl ihrer Büroräumlichkeiten, möchten ihren Mitarbeitenden jedoch weiterhin flexible Flächenkonzepte für verschiedene Bedarfe zur Verfügung stellen. Beispielsweise Einzelbüros, Ruhezonen und Räume für Workshops und größere Events.

New Work wird meist nur im Rahmen von „Organisation“ gedacht, von der Unternehmensführung hin bis zum:zur Mitarbeiter:in. Doch wenn wir wirklich an neue Arbeitsmodelle denken, warum denken wir dann nicht auch Entrepreneurship und Solopreneurship mit? Die werden bei den Diskussionen rund um „New Work“ außenvor gelassen. Daher eine Anregung: Was ist mit Mischformen? Warum nicht zu einem Teil der zur Verfügung stehenden Zeit als Entrepreneur:in oder Solopreneur:in arbeiten, und mit einer oder mehreren Teilzeitstellen kombinieren? Und je nach eigener Priorität, Energiehaushalt und Bedarf den flexiblen Anteil des eigenen Arbeitsmodells für weitere Erwerbstätigkeiten oder aber zur Erholung, für Hobbies oder Zeit mit Freunden oder Familie verbringen. Die Abwechslung und Vielfalt an Tätigkeiten in solch einem Modell können zu einer größeren Ausgeglichenheit und Erfüllung verhelfen. Vielleicht ist beispielsweise eine Tätigkeit kognitiv fordernd oder kreativ, eine andere monoton und entspannend oder körperlich anstrengend und eine weitere bietet die Möglichkeit, mich mit Menschen zu beschäftigen. Damit meine ich ausdrücklich NICHT ein großes Maß an unterschiedlichen Aufgaben und Anforderungen parallel, unplanbar und in hoher Frequenz. Denn das führt zu einem hohen Mental Load sowie Energie- und Reibungsverlust bei ständigem Wechsel. Nur am Rande erwähnt: Multitasking existiert nicht, der Mensch ist schlichtweg nicht darauf ausgelegt, es sei denn er kann eine Tätigkeit parallel zu einer andere völlig automatisiert ausführen. Zum Beispiel Zähneputzen während man ein Hörbuch hört. Menschengerechtes arbeiten bedeutet für mich mehr Freiheit, in der Art und Weise arbeiten zu können, die für den:die Einzelne:n passend und stimmig ist.

Frithjof Bergmanns Idee von „New Work“ war ja auch gar nicht, dass der Arbeitsplatz und die Arbeit ganz wundervoll und das zweite Zuhause werden müssen. Seine Idee war es, dass Menschen in Zukunft nur noch ein Drittel ihrer Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen, ein Drittel mit „Smart Consumption“ und ein Drittel mit Sinnerfüllung und der „Arbeit, die sie wirklich wirklich wollen“.

 

Was sind Herausforderungen von New Work?

Eine große Herausforderung sehe ich bei der aktuell hoch gelobten Arbeitsweise der „Selbstorganisation“. Denn Selbstorganisation führt nicht selten zu Selbstausbeutung, sei es in der Selbständigkeit, als Unternehmensgründer:in oder als Mitarbeiter:in in einem Unternehmen. Gleichzeitig wird in Unternehmen die Verantwortung gesund und in Maßen zu arbeiten im Zuge der „Selbstorganisation“ gerne auf die Mitarbeitenden abgewälzt, etwa mit Sätzen wie „Sie haben zu viel Arbeit auf dem Tisch? Dann haben sie wohl nicht gut genug priorisiert!“.

Während ein:e Selbständige:r selbst für den Schutz ihrer Arbeitskraft verantwortlich ist (Stichwort Selbstführung), vergessen viele Unternehmen und stellvertretend ihre Führungskräfte, dass sie eine Fürsorgepflicht gegenüber ihrem:er Mitarbeiter:in tragen. Auch wenn ergebnisorientiertes Arbeiten viel Freiheit und Flexibilität mit sich bringen kann, sollten Führungskräfte im Auge behalten, ob Mitarbeitende ein gesundes oder weniger gesundes Arbeitsverhalten an den Tag legen oder Zeichen von Erschöpfung zeigen, welche auf eine psychische Erkrankung hindeuten könnten. Jedoch sind die Führungskräfte in den Unternehmen nicht dazu ausgebildet, ein ungesundes Arbeitsverhalten oder Erschöpfungsanzeichen zu erkennen. Eine erste Maßnahme wäre also schon einmal, Führungskräfte zum Thema gesundes Arbeiten zu schulen und ihnen nahezulegen, ein gesundes Arbeitsverhalten auch vorzuleben. Denn an ihrem Verhalten werden sich die Mitarbeitenden orientieren! Zudem erschwert es die Remote-arbeit vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und nah an Mitarbeiter:inne und Kolleg:innen zu bleiben. „Beziehungsarbeit“ wird von der Wichtigkeit her auch gerne depriorisiert. Führungskräfte dürfen jedenfalls nicht darauf warten, dass Mitarbeitende Herausforderungen wie einen zu hohen Workload, körperliche oder psychische Beschwerden selbst ansprechen. Auch nicht dann, wenn sie sich angeblich in ihrem Unternehmen sicher fühlen dürfen, so etwas ohne Konsequenzen ansprechen zu können. Nur wenige Unternehmen schaffen es solch eine Kultur zu leben und damit Psychologische Sicherheit zu gewährleisten.

 

Ein weiteres Hindernis ist meiner Ansicht nach, dass New Work zu kurz greift. New Work fängt, wie der Namen schon sagt, bei „Arbeit“ oder „Erwerbsfähigkeit“ an. Wir sollten aber schon viel früher ansetzten, bei der New Education oder New School oder wie auch immer wir das nennen wollen. Denn die Bildungseinrichtungen und Bildungsmöglichkeiten müssen doch darauf ausgerichtet sein, die Fähigkeiten auszubilden, welche wir jetzt und in Zukunft so dringend brauchen. Die Schulen waren vor Jahrzehnten darauf ausgelegt Schüler:innen zu braven und gehorsamen Arbeitnehmer:innen auszubilden, die Anweisungen möglichst akkurat befolgen. Jetzt brauchen wir jedoch andere Skills, so genannten „Future Work Skills“. Wir brauchen beispielsweise Kreativität, Schöpfergeist und Problemlösekompetenz (vgl. Future of Jobs Survey 2020, World Economic Forum). Wenn wir uns mit New Work beschäftigen müssen wir daher unweigerlich auch darüber nachdenken, wie Menschen auf diese „Arbeitswelt von Morgen“ vorbereitet werden, welche Fähigkeiten sie ausbilden müssen und wie wir sowohl persönliche Stärken als auch Zusammenarbeit von Menschen mit unterschiedlichen Stärken fördern können. Wie sieht es aus an den Schulen mit Medienkompetenz, Grundlegendem Wissen über wissenschaftliches Arbeiten, psychologischen Grundkenntnissen, Kommunikationsfähigkeit, Umgang mit Konflikten, Achtsamkeits- und Entspannungstechniken, Methoden zur Selbstreflexion und dem Üben von Feedbackgeben um Fremd- und Selbstwahrnehmung abzugleichen?

 

Was sind für dich die wichtigsten Future Work Skills?

Drei Skills die meiner Ansicht nach sehr wichtig sind, schon immer waren und bleiben werden, möchte ich hier nennen.

  • Mitgefühl
    Wenn mich jemand fragen würde, was wäre die EINE Sache, wenn ich nur eine einzige auswählen dürfte, welche man an den Schulen lehren muss. Dann würde ich sagen: Mitgefühl. „Compassion and loving kindness“ ist eines der Kernelemente der buddhistischen Lehre. Wenn ich mir wünsche, glücklich zu sein, dann praktiziere ich Mitgefühl mir selbst gegenüber. Wenn ich mir vorstelle der andere, mein Gegenüber, ist wie ich, er möchte glücklich sein und ich wünsche ihm:ihr dass er:sie glücklich ist, aus vollem Herzen, dann praktiziere ich Mitgefühl. Und wenn ich einem Lebewesen leid zufüge oder sehe wie ihm Leid widerfährt, und mir bewusst mache, wie es sich für mich selbst anfühlen würde, wenn mir jemand dieses Leid zufügt oder es mir widerfährt, dann wäre es doch möglich, dass ich in Zukunft liebevoller mit mir und anderen Lebewesen umgehen würde. Und dass es weniger Neid, Missgunst und Gewalt auf der Welt gäbe, wenn ich Mitgefühl mir selbst und anderen gegenüber praktizieren würde. Mitgefühl ist nicht zu verwechseln mit Mitleid. Dann beim Mitleid leidet dann noch einer mehr. Und Mitleid basiert nicht selten auf Selbstaufwertung durch (sozialen) Abwärtsvergleich.

 

  • Ambiguitätstoleranz
    Ob VUCA, BANI, Superdiversität oder Multikulturalität, viele Begebenheiten sind heutzutage komplex bis chaotisch, unvorhersehbar und mehrdeutig. Umso wichtiger ist es daher, dass wir verschiedene Perspektiven und Lösungswege anerkennen und Widersprüchlichkeiten, Diversität und Unsicherheit koexistieren oder zumindest aushalten können oder sie gar als gewinnbringend anzusehen und zu nutzen. Ambiguitätstoleranz sollten wir daher schon früh und wo nur möglich fördern um binäre Denkweisen auf ein größeres Spektrum zu bringen und Menschen zu sensibilisieren, vorschnelle Urteile, einfache Lösungen und schnelle Entscheidungen bei komplexen bis chaotischen Problem erst einmal zu hinterfragen. Zwar ist die Wissenschaft sich noch uneinig, ob es sich bei der Ambiguitätstoleranz um ein schwer veränderbares Persönlichkeitsmerkmal handelt, ob die Ambiguitätstoleranz kontextabhängig verschieden sein kann oder gar veränderbar ist. Eins ist jedoch klar, sie wird als eine Art „Superpower“ gehandelt und ist eine Schlüsselkompetenz für jedermann*frau, insbesondere für Führungskräfte, Lehrer:innen, Berater:innen und Coaches.

 

  • Duchsetzungsvermögen
    Durchsetzungsvermögen (vgl. psychologisches Konstrukt Assertiveness von Lorr & More) wird häufig mit passiv aggressivem oder aggressivem Verhalten verwechselt. Was bedeutet Durchsetzungsvermögen stattdessen? Gemäß Nick Wignall bedeutet Durchsetzungsvermögen, „sein Leben nach seinen eigenen Werten zu leben, nicht nach denen anderer.“ Es bedeutet, Verantwortung für die eigenen Wünsche, Bedürfnisse zu übernehmen und sie anderen gegenüber klar und respektvoll kommunizieren zu können. Und natürlich auch die Ansichten des:der anderen anzuhören und ihnen gegenüber Wertschätzung auszudrücken. Menschen, die diese Fähigkeit besitzen können auch besser Fehler zugeben und sich für sie entschuldigen, sie können sich besser beherrschen und sind anderen gegenüber gerecht. Gleichzeitig erleben sie große Selbstachtung, ihr Selbstwertgefühl steigt und sie erleben weniger Stress. All das führt automatisch zu besseren Beziehungen, egal ob in der Schule, später im Beruf oder privat.

Über Janina:

Janina Lermer ist M. Sc. Wirtschaftspsychologin und diplomierte Kommunikationsdesignerin. Nachdem sie 16 Jahre lang Unternehmen in Sache Branding, Produktportfolio, Digitale Transformation und Innovation begleitet hat, ist sie nun schon seit einigen Jahren als Agile Coach an großen Transformationsprojekte beteiligt. Zudem referiert sie zu ihren Herzensthemen New Work und Verhaltensökonomie an zwei Hochschulen. Es ist ihr ein Anliegen, das Bewusstsein von Menschen zu fördern, kognitive Verzerrungen bewusst zu machen, Selbstreflexion anzuregen und Menschen zu inspirieren mehr Achtsamkeit und Mitgefühl zu praktizieren. Ein weiteres Herzensthema von ihr ist es mitzugestalten, wie wir in Zukunft arbeiten werden. Ihr geht es in erster Linie darum, wie Menschen gesund bleiben, mit den Herausforderungen der sich ständig verändernden Umwelt und Technologien umgehen, intrinsisch motiviert bleiben und dabei möglichst viel Mehrwert für die Welt und ihre Bewohner schaffen können. Diese und angrenzend Themen fließen in ihre Arbeit als Agile Coach ein und sie bringt ihre Herzensthemen vielen jungen Menschen in ihren Vorlesungen praxisnah und anwendbar nahe.

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