Universitätsklinikum Augsburg und MT Aerospace
Houston, we have a… Solution?

Der größte Anbieter modernster medizinischer Versorgung der Region – das Universitätsklinikum Augsburg – und das Luft- und Raumfahrtunternehmen MT Aerospace kooperieren miteinander, um die Sicherheitskultur in der Medizin am Standort Augsburg führend in Deutschland und Europa voranzubringen. Was hinter der spannenden Zusammenarbeit steckt, erklären Dr. Florian Sommer (Viszeralchirurg und geschäftsführender Oberarzt am UKA) und Bernd Beschorner (COO MT Aerospace).
Herr Beschorner, warum fühlen wir uns eigentlich so sicher, wenn wir in ein Flugzeug steigen und im riesigen Fluggerät aus Stahl über den Ozean fliegen? Im Grunde ist ja das Einzige, über das wir uns Gedanken machen, ob der Tomatensaft schmeckt …
BERND BESCHORNER: Ja genau, und ob der Koffer im gleichen Flieger ist. Die Luft- und Raumfahrt unterliegt strengen, internationalen Sicherheitsstandards, die kontinuierlich verbessert werden. Unsere Flugzeuge sind mit hochentwickelten Sicherheitssystemen ausgestattet und werden streng überwacht. Diese redundanten Systeme gewährleisten, dass ein einzelner Defekt nicht zu einer Katastrophe führt.
Gilt das Gleiche auch, wenn wir uns als Patient:innen auf den OP-Tisch legen, oder sind die Ängste der Menschen dort ungleich stärker?
FLORIAN SOMMER: Es muss natürlich auch das Ziel einer medizinischen Behandlung sein, dass sich Patient:innen nach dem mehrstufigen Aufklärungs- und Informationsprozess vor einer Operation gut informiert und sicher in ihrer Behandlungsentscheidung fühlen. Auch wenn wir diesen Prozess mit einer offenen und professionellen Kommunikation unterstützen, weiß ich jedoch, dass es sich für Patient:innen anders anfühlt, auf eine Operation zu warten als auf den nächsten Anschlussflug.
Gibt es bewährte Verfahren oder Standards in der Luftfahrt bzw. Medizin, die aus der jeweils anderen Branche übernommen werden könnten?
BESCHORNER: Die Einführung von weiteren Checklisten wie z. B. die WHO-OP-Checkliste sowie die Vorgabe und Umsetzung von übergreifenden Standardprozessen helfen, Fehler zu vermeiden. Solche Maßnahmen findet man in Hülle und Fülle in der Luftfahrt und bereits ansatzweise in der Medizin.
SOMMER: Die Medizin hat bereits in der Vergangenheit viel von der Sicherheitskultur in der Luft- und Raumfahrt profitiert. Diese Branche steht beispielhaft für weltweit gültige und einheitliche Prozesse. Einige davon, und deren Übertragbarkeit auf die Gesundheitsbranche, beleuchten wir in unserer gemeinsamen Keynote auf dem Rocketeer Festival näher. Man muss aber auch betonen, dass die Implementierung und Umsetzung in der Luftfahrt maximal gefördert und gefordert wurden. Von dieser Entschlossenheit könnte auch das Gesundheitswesen stark profitieren.
»MAN MUSS OFFEN, INTERPROFESSIONELL UND VORWURFSFREI ÜBER FEHLER SPRECHEN KÖNNEN.«
– Dr. med. Florian Sommer
Sicherheit ist die Vermeidung von Fehlern: Wie gehen Sie jeweils in Ihren Bereichen mit Fehlern und deren Analyse um?
BESCHORNER: Präventives Risikomanagement ist das A und O: Was könnte morgen passieren und was können wir heute tun, um es zu verhindern? In der Luftfahrt wird jeder Fehler analysiert und bei Unfällen wird so lange untersucht, bis die wahre Ursache gefunden wird. Hierbei können anonyme Fehlerberichte, also die objektive Fehlerbetrachtung ohne den Faktor Mensch und somit ohne Schuldzuweisung, oder die an der sichersten Stelle im Flugzeug verbaute Black Box wichtige Hinweise geben.
SOMMER: Natürlich muss es zunächst Aufgabe sein, Fehler bereits im Entstehungsprozess zu vermeiden. Auch hierzu bedient sich die Medizin der bekannten und in der Industrie etablierten Methoden. Dazu zählen u. a. Maßnahmen wie die Standardisierung von Prozessen, klare Kommunikationsstrukturen und Verantwortlichkeiten. Und wir haben in der Medizin einen hohen Standard an medizinischer Expertise durch Förderung der Weiterbildung. Wenn dann allerdings Fehler auftreten, und das ist leider unvermeidlich, kommt es wie überall auf die richtige Fehlerkultur an. Man muss immer offen, interprofessionell und vorwurfsfrei darüber sprechen können.
Was kann die Kooperation zwischen UKA und MT Aerospace zur Erhöhung der Sicherheit in beiden Bereichen beitragen – was wäre Ihr jeweiliges Wunschziel?
BESCHORNER: Mein Wunschziel wäre, durch die Kooperation weitere Möglichkeiten kennenzulernen, um die Luftfahrt noch sicherer zu machen und noch mehr Menschen beim Fliegen zu schützen. Letztlich geht es in den Hochrisikobereichen Luftfahrt und Medizin darum, Risiken stetig zu minimieren und noch mehr Leben zu schützen.
SOMMER: Die Medizin begleitet den Menschen seit Jahrhunderten und unterliegt einer permanenten Weiterentwicklung. Nun stehen wir vor einem neuen Meilenstein, mit all den Chancen, die KI uns bieten wird. Die Luftfahrt setzt seit Jahren automatisierte Systeme für die gefährlichsten Prozesse, den Start/die Landung von Flugzeugen, ein und erzielt damit hervorragende Ergebnisse. Unser Ziel am UKA ist es in allen Bereichen führend zu agieren, auch beim Thema Patientensicherheit. Um dieses Ziel zu erreichen, lassen wir uns gerne von einer anderen führenden Branche inspirieren, die hier eine Vorbildfunktion innehat. Am Ende geht es nämlich in beiden Branchen um nicht weniger als das Leben von Menschen.
Vita
Bernd Beschorner (51) wurde 2021 als Chief Operations Officer (COO) in den Vorstand der MT Aerospace AG berufen. Er verantwortet den Bereich Operations, zu dem die verschiedenen Entwicklungs- und Produktionsbereiche des Unternehmens sowie das Qualitätsmanagement zählen. Zuvor war er in unterschiedlichen Leitungsfunktionen in international agierenden Unternehmen, darunter RUAG Aerostructures, Deharde und Airbus, tätig.
Vita
Dr. med. Florian Sommer, MBA, (49) ist geschäftsführender Oberarzt in der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Augsburg. Zu seinen Hauptaufgabenbereichen zählt neben der minimalinvasiven und robotischen Tumorchirurgie auch die Transplantationsmedizin.