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Klimakrise

Entwaldung ist Pandemietreiber

Wie hängen Corona- und Klimakrise zusammen? Andreas Malm, Humanökologe und Klimahistoriker an der Universität Lund, weiß, warum wir Pandemien nur losbekommen, wenn wir mehr auf unsere Natur achten.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Covid und der Klimakrise?

Andreas Malm: Sie hängen auf mehreren verschiedenen Ebenen zusammen. Covid, also SARS-Cov-2, ist nur eines von vielen Beispielen der letzten Jahre für neu auftretende Infektionskrankheiten, die aus dem Tierreich auf menschliche Populationen überspringen. Diese Entwicklung hängt mit einer ganz ähnlichen anderen Entwicklung zusammen, nämlich den steigenden Temperaturen. Beide sind Teil der gleichen ökologischen Krise: Man könnte sie als globale Erkrankung und globale Erwärmung bezeichnen.

Worin genau besteht der Zusammenhang?

Malm: Die Pandemie und die Klimakrise haben gemeinsame treibende Faktoren, vor allem die Entwaldung, die der weltweit zweitwichtigste Treiber für Treibhausgasemissionen ist. Die globale Erwärmung wird zu mehr zoonotischen Übertragungen führen, sie wird Tiere zur Migration zwingen, darunter auch Fledermäuse, die Viren in sich tragen. Sie kommen mit menschlichen Populationen in Kontakt, mit denen sie bis dahin noch nie in Berührung gekommen waren. Wenn wir weitere Pandemien vermeiden wollen, müssen wir die Entwaldung stoppen und die globale Erwärmung bekämpfen.

Was ist die eigentliche Ursache der beiden Krisen?

MALM: Der Grund ist die Unterwerfung der Natur, wie wir sie aktuell betreiben und wie sie für den Kapitalismus charakteristisch ist – der Zwang des Kapitals, wilde Natur in Felder für die Produktion von Waren zu verwandeln. Und die Natur und die materielle Produktion mit der Waffe der fossilen Brennstoffe zu beherrschen, die dem Kapital die Steuerung der Materialflüsse in einem Ausmaß ermöglicht, das mit den erneuerbaren Energien, die den fossilen Brennstoffen vorausgingen, nicht denkbar war.

Ist die Covid-Pandemie das Zeichen dafür, dass wir eine Belastungsgrenze erreicht haben?

Malm: Es ist ein chronischer Notstand. Das bedeutet aber nicht, dass der Zustand stabil ist. Die globale Erwärmung ist per Definition kumulativ, ein naturgemäß sich verschärfender Prozess. Es wird schlimmer, bis der Prozess gestoppt und ihm entgegengewirkt wird. Wir können in diesem Zustand nicht ewig weiterleben. Das System der Wirtschaft setzt dem System der Natur mit einer Vehemenz zu, die zwangsläufig zu dessen Zusammenbruch führt. Die Gesellschaft wird sich also verändern müssen, will sie nicht einfach dazu verdammt sein, immer weitere solcher Katastrophen zu erleben.

Gerade zu Beginn der Pandemie war oft zu hören, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen sei. Gibt es Lehren, die man aus dieser Zeit ziehen kann?

Malm: Eine Lektion ist, dass Staaten sehr wohl dazu in der Lage sind, das business as usual außer Kraft zu setzen und dramatische Eingriffe ins Privateigentum und in die Märkte vorzunehmen und bestimmte Wirtschaftsaktivitäten zum Erliegen zu bringen, da sie fatale Auswirkungen haben. Das ist eine echte Lektion, die die Klimabewegung und ihre Verbündeten fortan bei der Werbung für ihre Sache nutzen sollten. Auf der anderen Seite wurde die Hoffnung, dass ein Weg aus der Corona-Krise über die Abkehr von fossilen Brennstoffen und grundsätzlich die Erholung der Natur führen könnte, bisher enttäuscht. Wenn man die Berichte darüber liest, dass die G-20-Volkswirtschaften weiterhin 50 oder 60 Prozent mehr Geld in fossile Brennstoffe als in erneuerbare Energien stecken, wird einem klar: Die aktuelle Krise scheint eine weitere verpasste Chance zu sein.

Wie könnte man das ändern?

MALM: Die Abkehr von fossilen Brennstoffen und dem ewigen business as usual kann nicht ohne Initiativen aus der Zivilgesellschaft und das Engagement verschiedener Bewegungen gelingen – wobei letztere es während der Pandemie besonders schwer hatten, da alle eingesperrt in ihren Häusern saßen. Es war extrem schwer, die Chance dieser Krise zu nutzen.

Eine letzte Frage. Könnten Sie diesen Satz ver­vollständigen: Für mich ist es etwas Persönliches, weil …

Malm: … ich so nicht leben will. Die Verluste, vor denen wir selbst als ziemlich privilegierte Menschen stehen, sind erheblich. Ein Leben ohne Schnee, zum Beispiel, ist natürlich nicht sinnlos oder unerträglich, aber es wäre ein großer Verlust. Vor allem für die Kinder.

 

Das Interview führte Georg Diez und erschien in voller Länge zuerst in der Augsburger Allgemeinen im Themen-Special „Wie Corona unsere Zukunft verändert“, einer Serie in Zusammenarbeit mit „The New Institute“. Dort lesen Sie auch, was Malm unter „Kriegs­kommunismus“ und „ökologischem Leninismus“ versteht.
augsburger-allgemeine.de/special/corona-serie

 

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